Die zulässige Berufung ist begründet. Sozialgericht und Beklagte haben den Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Speedy-Tandem zu Unrecht verneint. Der ursprüngliche Sachleistungsanspruch der Klägerin hat sich nach der Selbstbeschaffung dieses Hilfsmittels in einen Kostenerstattungsanspruch gewandelt, der sich nach § 13
Abs. 3 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (
SGB V), eingefügt durch das Neunte Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (
SGB IX) vom 19.06.2001 (BGBl. I
S. 1046), richtet. Danach werden die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem
SGB IX gemäß § 15
SGB IX erstattet. Die Erstattungspflicht besteht, wenn der Rehabilitationsträger, wozu auch eine Krankenkasse zählt (§ 6
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX), eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
Die Beklagte hat die Versorgung der Klägerin mit dem Speedy-Tandem zu Unrecht im Rahmen der gesetzlichen Hilfsmittelversorgung abgelehnt. Versicherte haben gemäß § 33
Abs. 1 Satz 1 2. Alt.
SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, um eine Behinderung auszugleichen. Aufgabe der Krankenversicherung ist insoweit allein die medizinische Rehabilitation (
BSG SozR 4-2500 § 33
Nr. 2
S. 15). Hilfsmittel als Leistung der medizinischen Rehabilitation umfassen nach § 31
Abs. 1
Nr. 3
SGB IX die Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich sind, um eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Dass das von der Klägerin beschaffte Speedy-Tandem eine mobile Hilfe in diesem Sinne und auch kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist, ist offenkundig, zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf keiner näheren Begründung. Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens
i.S.d. § 31
Abs. 1
Nr. 3
SGB IX zählt die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Hierunter fasst die Rechtsprechung die Bewegungsfreiheit in einem Umkreis, der mit einem vom Behinderten selbst handbetriebenen Rollstuhl erreicht werden kann (so der 8. Senat des
BSG, SozR 3-2500 § 33
Nr. 25
S. 141;
Nr. 28
S. 163),
bzw. in einem Radius, den ein Gesunder zu Fuß zurücklegt (so der 3. Senat des
BSG, zuletzt Urt. vom 26.03.2003 - B 3 KR 36/02 R - = SozR 4-2500 § 33
Nr. 2
S. 15). Letzteres soll sich aber auf kurze Spaziergänge oder solche Wege beschränken, die erforderlich sind, um üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegende Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (
BSG a.a.O.
BSG Urt. vom 21.11.2002 -
B 3 KR 8/02 R - Juris Kenn-
Nr. KSRE072991517). Eine Erweiterung wird für Kinder und Jugendliche angenommen.
Der 3. Senat des
BSG hat aus dem "Gesichtspunkt der Integration des behinderten Jugendlichen in das Lebensumfeld nicht behinderter Gleichaltriger" für diesen Versichertenkreis den Radius, den ein Jugendlicher mit dem Fahrrad zurücklegt, als Maßstab für die Hilfsmittelversorgung genommen (
BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 46
S. 259). Allerdings soll der Anspruch davon abhängen, ob das Kind/der Jugendliche selbständig ohne Hilfe Erwachsener das Hilfsmittel zu seiner Integration und Entwicklung nutzen kann (
BSG Urt. vom 21.11.2002, a.a.O. ). Die mit dem Fahrradfahren verbundene Möglichkeit des Erlebens von Gefühlen wie "Wahrnehmung der Geschwindigkeit", "Stimulierung der Sinne" sind durch diese Rechtsprechung hingegen nicht als Grundbedürfnisse des täglichen Lebens anerkannt worden (
BSG SozR 4-2500 § 33
Nr. 2
S. 16 m. w.N.).
Demgegenüber hat der 8. Senat des
BSG gerade bei schwerstbehinderten Kindern, die nicht selbst in der Lage sind, sich fortzubewegen, ein Bedürfnis nach regelmäßigen Fahrradausflügen in der Familie einschließlich der damit verbundenen Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Raumorientierung sowie Umwelterfahrung als ausreichend angesehen, den Anspruch auf ein Reha-Tandem zu begründen (SozR 3-2500 § 33
Nr. 28
S. 163, 167 f.).
Bei der Klägerin besteht aufgrund des frühkindlichen Hirnschadens eine Steh- und Gehunfähigkeit. Sie leidet an einer tiefgreifenden Empfindungsstörung mit autistischen Zügen. Wie
Dr. C zur Überzeugung des Senats dargelegt hat, ist ihr infolgedessen der Kontakt zu Mitmenschen und zur Umwelt nur sehr eingeschränkt möglich und auf basale Kommunikationswege - Wahrnehmung von Bewegung, Berührung und Geräuschen - angewiesen. Die Benutzung des Speedy-Tandems fördert diese Wahrnehmungen und führt zu einer Verbesserung des Kontakts der Klägerin zur Schwester und Eltern. Wie die Eltern der Klägerin des Weiteren glaubhaft dargelegt haben, können gemeinsame Fahrten mit anderen Kindern und Familien den Kontakt über das Familienleben hinaus fördern. Entsprechende Fahrradfahrten und Fahrradausflüge werden regelmäßig und häufig durchgeführt, so dass sie als wesentlicher Bestandteil der Lebensgestaltung der Klägerin anzusehen sind. Dabei findet - wenn auch im äußerst geringen Maße - eine Integration in den Kreis anderer Kinder und Jugendlicher statt, da die Schwester ohne Begleitung der Eltern mit der Klägerin das Speedy-Tandem nutzt. Warum die im Zeitpunkt der Anschaffung 14 Jahre alte Schwester hierzu nicht in der Lage gewesen sein soll, wie die Beklagte mutmaßt, ist für den Senat nicht plausibel, da die Führung des Fahrrad-Rollstuhlgespanns keine besonderen Fahrfähigkeiten verlangt.
Diese Feststellungen werden nicht durch die Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des MDK vom 07. 09.1999 und 09.10.2001 widerlegt. Wenn dort eine Dialogfähigkeit und die Kontaktaufnahme zur Klägerin seitens der Gutachter verneint worden sind, bedeutet dies nicht, dass die von
Dr. C bescheinigten Wahrnehmungsfähigkeiten der Klägerin fehlten, da entsprechende Reaktionen und die über einen langen Zeitraum zu verzeichnende Verbesserung des Kontakts zu anderen Menschen nicht Gegenstand der Begutachtung gewesen sind. Unter diesen Umständen kommt aber den gemeinsamen Fahrten für die Klägerin und ihrer Entwicklung eine besondere Bedeutung zu. Angesichts der extremen körperlichen und geistigen Einschränkungen, denen die Klägerin unterliegt, sind weder der allgemeine Kontakt zu Schwester und Eltern noch die Teilnahme an dem Behindertenunterricht, dem Behindertenschwimmen und der Hypotherapie als ausreichend anzusehen, ihre Bedürfnisse nach sozialen Kontakten und Umwelterfahrung zu befriedigen, wie auch
Dr. C bescheinigt hat. Angesichts des in § 2
Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (
SGB I) enthaltenen Sicherstellungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte, an den auch der 3. Senat des
BSG in anderem Zusammenhang angeknüpft hat (Anspruch auf häusliche Krankenpflege außerhalb des Wohnbereichs,
vgl. BSG SozR 3-2500 § 37
Nr. 5
S. 32), ist kein Grund ersichtlich, die Versorgungsansprüche schwerstbehinderter Kinder mit Hilfsmitteln restriktiv zu handhaben. Inwieweit Entsprechendes auch aus § 9
Abs. 1 Satz 3
SGB IX folgt, kann dahinstehen (
vgl. auch
BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 44
S. 250).
Die Klägerin kann nicht mit einem handelsüblichen Tandem mitgenommen werden, wie
Dr. C bescheinigt hat, was angesichts der Schwere ihrer Behinderung auch offensichtlich ist und von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird.
Das angeschaffte Speedy-Tandem überschreitet auch nicht das übliche Maß, wie die Beklagte ebenfalls anerkannt hat. Abzusetzen war lediglich ein Betrag, zu dem ein handelsübliches Fahrrad hätte angeschafft werden können (
vgl. BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 28
S. 170). Dem haben die Eltern der Klägerin, die die streitigen Kosten getragen haben, durch die Reduzierung der geltend gemachten Kosten um 250,- Euro Rechnung getragen, da für einen derartigen Betrag ein handelsübliches Fahrrad erworben werden kann.
Auf die Berufung der Klägerin war daher das angefochtene Urteil des SG zu ändern und die Beklagte im beantragten Umfang zur Kostenerstattung zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG).