Die Klage, über die trotz des Ausbleibens des Klägers gemäß § 101
Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) verhandelt und entschieden werden konnte, bleibt ohne Erfolg, wobei die Kammer den schriftsätzlich gestellten Klageantrag zu Ziffer 2. dahin auslegt, der Kläger wolle festgestellt wissen, dass die ihm und einer Begleitperson nach
§ 145 Abs. 1 und 2 SGB IX zustehende Freifahrtberechtigung im öffentlichen Personennahverkehr auch die Benutzung des in dem Stadtgebiet von F. vorgehaltenen Anrufsammeltaxen-Systems umfasst.
Dies vorausgeschickt, erweist sich der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2011 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2012 als rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, wie es für eine erfolgreiche Anfechtungsklage nach § 113
Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) erforderlich wäre. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine unentgeltliche Nutzung der in dem Stadtgebiet der Beklagten verkehrenden Anrufsammeltaxen.
Für sein Begehren kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf die Vorschrift des seit dem 1. Juli 2001 maßgeblichen § 145
Abs. 1 und 2
SGB IX berufen. Das Nds. Oberverwaltungsgericht hat im Zusammenhang mit dieser Regelung in einem vergleichbaren Fall durch Urteil vom 8. Oktober 2003 (
4 LB 365/03, zitiert nach juris) folgende Feststellungen getroffen, denen die Kammer folgt:
Nach § 145
Abs. 1
SGB IX (§ 59
Abs. 1
SchwbG) trifft die Verpflichtung zur kostenlosen Beförderung Schwerbehinderter die "Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben". Die Kostenbefreiung gilt auch für Begleitpersonen (§ 145
Abs. 2
SGB IX bzw. § 59
Abs. 2
SchwbG). Der Anspruch ist aber sachlich beschränkt auf die unentgeltliche Beförderung "im Nahverkehr im Sinne des
§ 147" (§ 145
Abs. 1 Satz 1
SGB IX)
bzw. "im Nahverkehr im Sinne des § 61
Abs. 1" (§ 59
Abs. 1 Satz 1
SchwbG). Bereits aus dieser Formulierung ergibt sich, dass sich der Anspruch nicht auf den gesamten öffentlichen Personennahverkehr (etwa im Sinne der weit gefassten Definition des öffentlichen Personennahverkehrs in § 1
Abs. 2 NNVG) erstreckt. Durch die Verweisung werden vielmehr nur ganz bestimmte Verkehrsformen erfasst. Nahverkehr ist nach der vorliegend allein in Betracht kommenden Alternative des § 147
Abs. 1
Nr. 2
SGB IX (früher § 61
Abs. 1
Nr. 2
SchwbG) der öffentliche Personenverkehr mit "Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes ...". § 43 PBefG betrifft Sonderformen des Linienverkehrs wie Schülerbeförderung und anderes und ist hier nicht einschlägig. § 42 PBefG definiert "Linienverkehr" als "eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können. Er setzt nicht voraus, dass ein Fahrplan mit bestimmten Abfahrts- und Ankunftszeiten besteht oder Zwischenhaltestellen eingerichtet sind."
Die spezielle Verweisung im
SGB IX (früher
SchwbG) auf die Definition des Linienverkehrs in § 42 PBefG verbietet es, in den Anspruch auf kostenlose Beförderung Schwerbehinderter auch andere Verkehrsarten einzubeziehen. Der Gesetzgeber hat im Rahmen mehrfacher Änderungen des Schwerbehindertenrechts gerade darauf verzichtet, besondere Verkehrsformen ganz oder teilweise dem für Schwerbehinderte unentgeltlichen Nahverkehr zuzuordnen (
vgl. VG Köln, a.a.O.). Das gilt auch für die Aufnahme des Schwerbehindertenrechts in das
SGB IX, bei der die hier maßgeblichen Vorschriften der §§ 145, 147
SGB IX wortgleich von den §§ 59, 61
SchwbG übernommen worden sind.
Gemessen hieran scheidet ein unmittelbarer Anspruch des Klägers auf kostenlose Beförderung im
ÖPNV gegen die Beklagte schon deshalb aus, weil durch die Vorschrift des § 145
Abs. 1
SGB IX die Verpflichtung zur unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter nicht den (staatlichen) Trägern des
ÖPNV, sondern den Unternehmern, die öffentlichen Nahverkehr betreiben, auferlegt worden ist, das heißt, die Verpflichtung, Schwerbehinderte - gegen Erstattung der Fahrgeldausfälle - kostenlos zu befördern, haben allein die Unternehmen, die den Verkehr tatsächlich durchführen, so dass ein Schwerbehinderter dieses Recht nur gegenüber dem Verkehrsunternehmen selbst geltend machen kann. Hier hat die Beklagte im Rahmen ihrer auf § 4
Abs. 3 NNVG beruhenden Zuständigkeit, wonach unbeschadet der Pflichten der Aufgabenträger unter anderem kreisangehörige Gemeinden in eigener Verantwortung öffentlichen Personennahverkehr durchführen oder durchführen lassen können, für das von ihr in ihrem Stadtgebiet vorgehaltene Anrufsammeltaxen-System durch Vertrag vom 5. August 1993 die Einrichtung dieses "Bedarfsverkehrs mit Sammeltaxen (AST-Verkehr)" auf die VBN unter der Bezeichnung VBN-PLUS Sammeltaxi übertragen (§ 1
Abs. 1 dieses Vertrages), die wiederum unter anderem für die L., einem ihrer Mitgliedsunternehmen, das im Gebiet der Beklagten Linienverkehr gemäß § 42 PBefG betreibt, zur Durchführung des AST-Verkehrs eine entsprechende Genehmigung nach § 49 PBefG in Verbindung mit § 2
Abs. 6 PBefG eingeholt hat (§ 1
Abs. 2 des Vertrages). Die L. wiederum ist gemäß § 6
Abs. 1 Satz 1 des Vertrages berechtigt, in eigener Verantwortung, jedoch im Einvernehmen mit der Beklagten, leistungsfähige Taxi- und/oder Mietwagenunternehmen mit der Durchführung der AST-Fahrten zu beauftragen. Danach ist die Beklagte für das AST-System zwar Aufgabenträger im Sinne des § 4 NNVG, nicht aber Unternehmer im Sinne des § 145
Abs. 1
SGB IX.
Darüber hinaus ergibt sich aber auch kein aus der Trägerschaft der Beklagten für den AST-Verkehr abzuleitender mittelbarer Anspruch des Klägers dahingehend, dass die Beklagte auf ihren Vertragspartner, die VBN und damit die L., einwirkt, dass diese den Kläger und eine Begleitperson (im Sinne des § 145
Abs. 2
SGB IX) bei Vorlage eines gültigen Schwerbehindertenausweises nach
§ 69 Abs. 5 SGB IX unentgeltlich befördern. Dies scheitert daran, dass es sich bei dem in dem Stadtgebiet von F. zum Einsatz kommenden AST nicht um "Linienverkehr" im Sinne der allein in Betracht zu ziehenden Vorschriften der §§ 147
Abs. 1
Nr. 2
SGB IX, 42 PBefG handelt, sondern Gelegenheitsverkehr nach den §§ 46
ff. PBefG vorliegt.
Gemäß § 42 Satz 1 PBefG ist Linienverkehr eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können. Er setzt nicht voraus, dass ein Fahrplan mit bestimmten Abfahrts- und Ankunftszeiten besteht oder Zwischenhaltestellen eingerichtet sind (§ 42 Satz 2 PBefG). Gemessen an dieser Definition fehlt dem streitigen AST-System (jedenfalls) das einen Linienverkehr prägende Element einer Verbindung zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten. Der Streckenverlauf wird vielmehr grundsätzlich flexibel nach den vorliegenden telefonischen Anmeldungen durch das von der L. mit der Durchführung der AST-Fahrten beauftragte Taxi- oder Mietwagenunternehmen geplant. Damit kann der Ausgangspunkt jeweils an einer anderen der bestehenden Haltestellen liegen. Der Fahrtverlauf ist beliebig und unabhängig von den Linien der sonst verkehrenden Stadtbusse, weil die Fahrtziele von dem Fahrgast unabhängig von den regulären Bushaltestellen frei ("bis vor die Tür") bestimmt werden. Anders als in dem regulären Linienverkehr gibt es auch keine Betriebspflicht für den Unternehmer in dem Sinne, dass gegebenenfalls auch Leerfahrten durchzuführen sind. Gerade solche unrentablen Fahrten sollen durch die Flexibilität des AST vermieden werden. Die auf den Linienverkehr zugeschnittene Vergünstigung der kostenlosen Beförderung für Schwerbehinderte erstreckt sich danach nicht auf die besondere Betriebsform des AST.
Der Kläger kann sich für sein Begehren auch nicht auf das
BGG bzw. das Nds. Behindertengleichstellungsgesetz (NBGG) und/oder das
AGG berufen. Gemäß
§ 7 Abs. 2 Satz 1 BGG bzw. § 4
Abs. 2 Satz 1 NBGG darf ein Träger öffentlicher Gewalt
bzw. dürfen öffentliche Stellen behinderte Menschen
bzw. Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligen. Träger der öffentlichen Gewalt, an die sich die Vorschrift des § 7
Abs. 2 Satz 1
BGG richtet, sind nach § 7
Abs. 1
BGG aber nur Dienststellen und sonstige Einrichtungen der Bundesverwaltung, einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, sowie die Landesverwaltungen, soweit sie Bundesrecht ausführen, während sich das NBGG an die Behörden, Gerichte und sonstigen Einrichtungen des Landes sowie die der alleinigen Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts richtet (§ 2
Abs. 1 NBGG). Da die Gewährleistung des
ÖPNV nach den landesrechtlichen Vorschriften des NNVG erfolgt und Aufgabenträger des
ÖPNV für den nicht schienengebundenen Personennahverkehr gemäß § 4
Abs. 1
Nr. 3,
Abs. 2 und 3 NNVG die Landkreise und kreisfreien Städte sind
bzw. auch kreisangehörige Gemeinden - wie hier - sein können, finden weder das
BGG noch das NBGG Anwendung. Eine dem § 7
Abs. 2
BGG bzw. § 4
Abs. 2 NBGG entsprechende Norm, die sich an die Kreise, Städte und Gemeinden richtet, ist nicht ersichtlich. Darüber hinaus fehlt es aber auch an einer Benachteiligung des Klägers im Sinne dieser Vorschriften (
vgl. § 7
Abs. 2 Satz 2
BGG bzw. § 4
Abs. 2 Satz 2 NBGG), weil die Bewohner im Bereich der Straße C. von der ab 11. Dezember 2011 veränderten Linienführung des Stadtbuslinie 712 unabhängig davon, ob sie behindert oder nicht behindert sind, betroffen werden. Daher sind auch keine Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung im Sinne des
§ 1 AGG gegeben.
Schließlich hat die Beklagte von dem Kläger zu Recht eine Widerspruchsgebühr in Höhe von 125,00
EUR erhoben. Da die Beklagte bei Erlass des angefochtenen Widerspruchsbescheides nicht als Behörde im Sinne des
§ 118 SGB IX, sondern als Träger des AST-Verkehrs und damit gemäß § 4
Abs. 5 NNVG im eigenen Wirkungskreis gehandelt hat, findet die Kostenfreiheitsvorschrift des § 64
SGB X keine Anwendung. Die Beklagte ist daher berechtigt gewesen, auf der Grundlage der §§ 1
Abs. 1, 2, 3
Abs. 1, 4
Abs. 1 und 7
Abs. 2 ihrer Verwaltungskostensatzung in Verbindung mit Ziffer 10 des Kostentarifs die Zahlung einer Widerspruchsgebühr zu fordern, deren Höhe ebenfalls keinen Bedenken begegnet, weil es sich ohnehin nur um die in Ziffer 10 des Kostentarifs vorgesehene Mindestgebühr von 125,00
EUR handelt.