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Urteil
Übernahme von aufgewendeten Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz (Gebärdensprachdolmetscher) im Rahmen einer Ausbildung zum Vermessungstechniker als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes - Kostenerstattungsanspruch des Integrationsamtes

Gericht:

SG Köln 15. Kammer


Aktenzeichen:

S 15 AL 707/14


Urteil vom:

29.08.2017


Grundlage:

Nichtamtliche Leitsätze:

Das Bestehen der Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf widerlegt die zu Beginn der Ausbildung getroffene Prognoseentscheidung der Agentur für Arbeit, der Mensch mit Behinderung sei für den gewählten Ausbildungsberuf ungeeignet. Dies führt zur Kostenträgerschaft der Bundesagentur für Arbeit für eine ausbildungsbegleitende notwendige Arbeitsassistenz (hier: Gebärdendolmetschereinsätze) und einen entsprechenden Erstattungsanspruch des Integrationsamtes, welches die Kosten dafür zuvor übernommen hatte.

Quelle: Behindertenrecht 05/2018

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

Tenor:

Der Bescheid vom 10.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2014 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger die Kosten für die Übernahme einer notwendigen Arbeitsassistenz bzgl. Herrn x zu erstatten.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die vom Kläger aufgewendeten Kosten für die Übernahme einer notwendigen Arbeitsassistenz - Gebärdensprachdolmetscher - für den im Mai 1991 geborenen x, die im Rahmen dessen Ausbildung zum Vermessungstechniker angefallen sind, als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes zu erstatten hat.

Herr x ist hörbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen H, RF, Gl. Seit dem 01.08.2010 befand er sich in einer Ausbildung zum Vermessungstechniker bei der Stadt Leverkusen.

Vor Abschluss des Ausbildungsvertrages mit der Stadt Leverkusen durchlief Herr x ein Einstellungsverfahren und erreichte von insgesamt elf an einem Einstellungstest die zweitbeste Gesamtnote. Diesbezüglich wird auf die von dem Kläger zu den Gerichtsakten gereichte Dokumentation zum Einstellungsverfahren (Bl. 96 der Streitakte) und auf das mitgeteilte Ergebnis des schriftlichen Bewerbungsverfahrens für die Stadt Leverkusen durchgeführt vom Institut für Eignungsprüfung vom 22.10.2013 (Bl. 146 der Streitakte) Bezug genommen.

Die Ausbildung dauerte bis zum Juli 2017 und die Abschlussprüfung wurde von Herr x mit der Gesamtnote befriedigend erfolgreich beendet.

Aufgrund seiner Behinderung war er auf die Unterstützung eines Gebärdensprachdolmetschers angewiesen und die entsprechende Kostenübernahme für die praktische Ausbildung den Berufsschulunterricht übernahm der Kläger und erteilte Herrn x dazu entsprechende Bewilligungsbescheide.

Einen diesbezüglichen Antrag bei dem Kläger hatte Herr x mit Schreiben vom 30.06.2014 - bei dem Kläger am 07.07.2014 eingegangen - gestellt und mit Schreiben vom 11.07.2014, dem der Kläger u. a. das Schreiben des Herr x vom 30.06.2014 beifügte, verlangte der Kläger von der Beklagten die Zusendung einer diesbezüglichen Kostenübernahmeerklärung.

Bereits im Januar 2014 hatte bei der Beklagten eine berufliche Eignungsabklärung von Herr x durch den berufspsychologischen Service (BPS) stattgefunden. Dort kam man nach Durchführung verschiedener Testverfahren - diesbezüglich wird auf die von der Beklagten zu den Akten des Gerichtes gereichten Untersuchungsunterlagen und -ergebnissen zum psychologischen Gutachten (Bl. 132 ff der Streitakte) Bezug genommen - im psychologischen Gutachten vom 29.01.2014 zum Ergebnis, dass Herr x von einer Ausbildung zum Vermessungstechniker, Bauzeichner oder anderen Ausbildungen mit anschauungsgebundenen Anforderungen abgeraten werden müsse.

Auf den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme der notwendigen Arbeitsassistenz teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 17.07.2014 mit, dass Herr x nach Einschätzung des BPS für die angestrebte Ausbildung zum Vermessungstechniker keine Eignung attestiert werden könne und deswegen die für einen erfolgreichen Abschluss dieser Ausbildung notwendigen Fähigkeiten bei diesem nicht vorliegen würden. Da damit die Voraussetzungen für eine Ausbildungsvermittlung wegen fehlender Eignung nicht gegeben seien, könne dem Antrag auf Erstattung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Kostenübernahme einer notwendigen Arbeitsassistenz nicht entsprochen werden.

Mit Schreiben vom 24.07.2014 widersprach der Kläger diesem Schreiben und brachte dabei vor, dass die Stadt Leverkusen, als ausbildende Behörde, die Anforderungen, die an den Auszubildenden in dem Ausbildungsberuf Vermessungstechniker gestellt würden, sehr wohl berücksichtigt habe und schließlich den Ausbildungsvertrag mit Herr x geschlossen habe. Aus diesem Grunde sehe der Kläger keine Grundlage für die Beklagte, die Eignung von Herr x anzuzweifeln und die Übernahme der Kosten für die notwendige Arbeitsassistenz während der Brau Berufsausbildung abzulehnen.

Die Beklagte fasste dieses Schreiben als Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.07.2014 auf und wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2014 als unbegründet zurück.

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2014 (Bl. 50 ff der Streitakte) Bezug genommen.

Am 06.10.2014 hat der Kläger hinsichtlich des Bescheides vom 17.07.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2014 Klage erhoben und bringt dazu vor, dass die angefochtenen Bescheide schon deswegen rechtswidrig seien, weil sich der Kläger und die Beklagte als Leistungsträger gleichrangig gegenüber stünden und ein Vorgehen in einem Über/Unterordnungsverhältnis, wie es die Beklagte vorgenommen habe, unzulässig sei.

Weiter bringt der Kläger vor, dass Herr x das Einstellungsverfahren bei der Stadt Leverkusen erfolgreich absolviert habe und seine Ausbildung auch komplikationslos verlaufen sei. Von daher könne sich die Beklagte zur Ablehnung der Kostenübernahme nicht auf das psychologische Gutachten vom 29.01.2014 stützen. Im Übrigen schließe dieses Gutachten eine Ausbildung zum Vermessungstechniker nicht explizit aus, Herrn x werde vielmehr attestiert, dass er grundsätzlich in der Lage sei, eine Ausbildung auf Realschulniveau zu bewältigen. Laut Steckbrief der Beklagten aus dem "BerufeNet" zum Ausbildungsberuf des Vermessungstechnikers handele es sich dabei um einen Ausbildungsberuf, für den in der Regel Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss eingestellt würden. Diesen mittleren Bildungsabschluss habe Herr x erlangt.

In der mündlichen Verhandlung am 29.08.2017 haben die Beteiligten erklärt, dass sie mit einer Entscheidung des Gerichtes im Sinne eines Grundurteiles über die grundsätzliche Erstattungspflicht des Beklagten für die vom Kläger aufgewendeten Kosten einverstanden sind.


Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 10.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2014 aufzuheben und die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für die Übernahme einer notwendigen Arbeitsassistenz bzgl. des Herrn x zu erstatten.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen der angefochtenen Bescheide und bringt weiter unter Vorlage einer ergänzenden Stellungnahme des BPS vom 24.02.2015 - diesbezüglich wird auf die Stellungnahme zum Klageverfahren der Diplom-Psychologin Elsbeth Trzaska vom 24.02.2015 (B. 74 f der Streitakte) Bezug genommen - weiter vor, dass sie eine Prognoseentscheidung zu treffen gehabt habe. Dafür komme es nicht entscheidungserheblich darauf an, dass sich die von ihr sachgerecht erhobene Prognose im nachfolgenden möglicherweise nicht bestätigen sollte. Im Übrigen werde die Richtigkeit der Prognoseentscheidung der Beklagten durch die ergänzende Stellungnahme vom 24.02.2015 bestätigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streit- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und auf die darin befindlichen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) schon deswegen beschwert, weil die Beklagte gegenüber dem Kläger wegen des zwischen diesen beiden nicht vorliegenden Über/Unterordnungsverhältnisses nicht berechtigt ist, im Zusammenhang mit dem hier streitigen Kostenerstattungsanspruch Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X zu erteilen.

Dem Kläger steht auch dem Grunde nach (§130 Abs. 1 SGG) der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Anspruchsgrundlagen der §§ 102 Abs. 6 Satz 4, 14 SGB 14 - was als solches zwischen den Beteiligten nicht streitig ist - hier als zuständiger Rehabilitationsträger gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 5 Nr. 2 SGB IX die von dem Kläger erbrachte Eingliederungsleistung als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gem. § 112, 113 Abs. 1 Nr. 2 SGB III i. V. m. § 33 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 8 Nr. 3 SGB IX die Kosten für die vom Herrn x benötigte Arbeitsassistenz in Form eines Gebärdensprachdolmetscher zu erbringen hatte (vgl. dazu auch Bundessozialgericht vom 04.06.2013, Az. B 11 AL 8/12 R).

Soweit sich die Beklagte - und was hier zwischen den Beteiligten alleine streitig ist - darauf beruft, dass eine Förderung durch die Beklagte nach der von ihr zu treffenden Prognoseentscheidung über die Eignung des Herrn x für die Ausbildung zum Vermessungstechniker nicht in Betracht kam, so führt dies hier nicht zu einer anderen Entscheidung. Denn die von der Beklagten noch mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2014 getroffene Prognoseentscheidung, Herr x sei für die Ausbildung zum Vermessungstechniker nicht geeignet, wird durch die von Herrn x bestandene Abschlussprüfung in diesem Beruf, die seine Eignung für die Ausbildung belegt, widerlegt. Dies führt dazu, dass an der negativen Prognose der Beklagten selbst dann nicht festzuhalten ist, wenn es grundsätzlich für die Beurteilung der Richtigkeit der Prognoseentscheidung auf den Zeitpunkt des letzten Verwaltungshandelns abzustellen ist (Bundessozialgericht vom 24.09.1974, Az. 7 Rar 113/73 und vom 11.05.2000, Az. B 7 AL 18/99 R).

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob ein Anspruch darauf besteht, mit einer gerichtlichen Entscheidung abzuwarten, bis das Ergebnis der Abschlussprüfung feststand. Denn dies ist hier nicht entscheidungserheblich unabhängig davon, dass sich die Beklagte nicht auf die Entscheidung des Bayrischen Landessozialgerichts vom 26.03.2010, Az. L 8 AL 117/06 ZVW berufen kann. Denn diese Entscheidung ist schon vom Sachverhalt her nicht einschlägig, da in dem vom Bayrischen Landessozialgericht entschiedenen Fall im Gegensatz zum hier zu entscheidenden Sachverhalt die Abschlussprüfung gerade nicht bestanden wurde.

Im Übrigen kann sich die Beklagte auch unabhängig davon nicht auf die Richtigkeit ihrer Prognoseentscheidung berufen. Denn diese Prognoseentscheidgung unterliegt jedenfalls insoweit einer gerichtlichen Überprüfung dahingehend, ob diese Entscheidung tatsächlich unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten in einer dem Sachverhalt angemessen und methodisch einwandfreien Weise erarbeitet worden ist (Bundessozialgericht vom 03.07.2003, Az. B 7 AL 66/02 R).

Diesen Grundsätzen genügt die Prognoseentscheidung der Beklagten nicht, weil die Beklagte bei dieser Entscheidung sowohl verfügbare als auch entscheidungserhebliche Daten unberücksichtigt gelassen hat.

Die Beklagte hat ihre Prognoseentscheidung alleine auf das Psychologische Gutachten vom 24.09.2014 gestützt. Zum Zeitpunkt ihrer Prognoseentscheidung war der Beklagten jedoch bereits bekannt, dass Herr x einen Ausbildungsvertrag mit der Stadt L. abgeschlossen hatte und im Rahmen der der Beklagten gem. § 20 SGB X obliegenden Ermittlung des Sachverhaltes wäre es nicht nur notwendig gewesen, sondern hätte auch nahegelegen, zu ermitteln, ob und auf Grund welcher Umstände Herr x den Ausbildungsplatz erhalten hatte. Dadurch hätte die Beklagte dann aber Kenntnis der Ergebnisse des Auswahl- und Einstellungsverfahrens erlangt mit der Folge, dass diese Ergebnisse im Rahmen der Prognoseentscheidung hätten berücksichtigt werden müssen. Soweit sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die ergänzende Stellungnahme des BPS vom 24.02.2015 beruft, so stellt diese ergänzende Stellungnahme im Ergebnis lediglich eine Erläuterung bzw. Begründung des Gutachtens vom 24.01.2014 dar. Eine erneute Prognoseentscheidung ist darin jedoch überhaupt nicht zu sehen und nach gerichtlicher Ermittlung der Ergebnisse des Auswahl- und Einstellungsverfahrens hat sich die Beklagte alleine auf die bisher getroffene Prognoseentscheidung berufen und die Auffassung vertreten, dass es nicht entscheidungserheblich darauf ankomme, ob sich diese im nachfolgenden möglicherweise nicht bestätige.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 197 a SGG, 154 Abs. 1 VwGO.

Hinweis: Die Entscheidung ist rechtskräftig, nachdem die Beklagte die Berufung zurückgenommen hat. (siehe hierzu die Ausführung in Behindertenrecht 2019, Heft 05 S. 134 f.)

Referenznummer:

R/R7621


Informationsstand: 11.04.2018